Gingium – die Pille gegen Vergesslichkeit? TV-Spot unter der Lupe

Gibt es eine Pille gegen Vergesslichkeit? Wer sich den Werbespot der Pharmafirma Hexal für das freiverkäufliche Präparat „Gingium“ ansieht, muss das glauben. Der Schauspieler, der einen älteren aber noch beruflich aktiven Menschen darstellt, läuft zweimal über den Bildschirm – einmal vor Einnahme der Pille, einmal danach. Und was passiert in der Zwischenzeit?

Es hat sich – man darf es wirklich so nennen – ein wahres Wunder ereignet. Herr Braun, so heißt der Herr, kann sich wieder Namen merken. Wie die Wunderpille wirkt, wird auch erklärt: Sie sorgt für eine verbesserte Durchblutung im Gehirn, erhöht dort die Sauerstoffmenge und „stärkt die Nervenzellen“.

Doch was ist von diesem Werbespot nun zu halten?

Es gibt keine überzeugenden wissenschaftlichen Beweise

Stimmt er? Oder ist er das Ergebnis fantasiebegabter Werbefilmer? Die Antwort kann nur lauten: weder das eine, noch das andere. Der Werbespot ist eher ein modernes Märchen. Und wie in jedem Märchen steckt auch in diesem ein Körnchen Wahrheit: So verbessert in der Tat der Wirkstoff in Gingium – ein Ginkgoblätter-Trockenextrakt – die Fließeigenschaften von Blut. Doch für die Hauptaussage des Films, dass Gingium so etwas wie eine Pille für ein besseres Gedächtniss sei, gibt es keine überzeugenden wissenschaftlichen Belege.

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In einer großen, mit öffentlichen Geldern finanzierten Studie wurde der Wirkstoff, der als Pille und Flüssigkeit auch von anderen Herstellern vertrieben wird (Schwabe, Sandoz, Stada, Bionorika u.a.), über sechs Jahre an über 3000 Senioren getestet (Durchschnittsalter 79 Jahre). Im pharmakritischen Arznei-Telegramm heißt es dazu mit Bezug auf die geistigen Fähigkeiten, die solche Präparate verbessern sollen: „Auch hier erweist sich Ginkgo als nicht wirksam – weder auf die kognitiven Fähigkeiten insgesamt noch hinsichtlich einzelner Funktionen. Die geistige Leistungsfähigkeit im Zusammenhang mit normalem Altern wird genauso wenig positiv beeinflusst wie jene bei Senioren mit bereits bestehenden leichten kognitiven Einschränkungen.“

Bei Herz-Kreislauf-Vorerkrankungen steigt das Demenzrisiko

Besonders folgende Ergebnisse sollten aber hellhörig machen: Schlaganfälle (genauer: hämorrhagische Schlaganfälle) kommen bei Ginkgo-Anwendern doppelt so häufig vor wie unter Placebo-Anwendern, also jenen, die eine wirkstofflose Pille schlucken. Und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei älteren Anwendern mit Herz-Kreislauf-Vorerkrankungen sogar das Demenzrisiko steigt.

Aber wie kommen dann Pharmafirmen zu ihren positiven Aussagen? Ganz einfach: Sie machen zum Beispiel ihre eigenen Studien. Und siehe da – der Wirkstoff wirkt tatsächlich. So geschehen bei zwei Studien, durchgeführt in der fernen Ukraine.

Als sich danach das staatliche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit Sitz in Köln die Ergebnisse genauer ansah, wollte man den Pharmafirmen-Optimismus aber nicht teilen – und sah nur „einen Hinweis auf einen Nutzen“. Aber auch der wurde noch weiter eingeschränkt. Denn in der Ukraine hatte man Ginkgo an einer ganz besonderen Gruppe getestet: Es handelte sich um Alzheimer-Patienten, die auch noch psychisch erkrankt sein mussten.

Fazit: Aktiv im Leben stehende Menschen wie unser Herr Braun aus dem Werbespot sollten sich durch Ginkgo-Präparate keinen Zuwachs an Gedächtnisleistung erhoffen.

Erschienen in feminin & fit 1/2012

Nachtrag 2014: Neuer Spot. Auch diesmal geht es um Vergesslichkeit, die man mit Gingium erfolgreich bekämpfen könne. Interessanterweise ist es auch bei diesem Spot wieder ein Mann, bei dem es mit der Merkfähigkeit nicht mehr so richtig klappt. An der Bewertung des Produkts ändert der neue Werbefilm aber trotzdem nichts.

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