Auf diese Idee muss man erstmal kommen: Das menschliche Herz als einem Uhrwerk ähnliche Maschine darzustellen, die geschmiert werden muss, damit sie gut läuft. Grafisch beeindruckend umgesetzt wird die Idee in einem Werbespot der Firma Pfizer, die damit ihr Produkt „Centrum Cardio“ bekannt machen will. In den Tabletten stecken 23 Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente sowie Pflanzensterine, die neuen Lieblinge der Pharmaindustrie. Und alle zusammen sollen sie für ein gesundes Herz sorgen. Aber stimmt das überhaupt?
Die ersten Fragezeichen tauchen schon beim gesprochenen Text auf, der dem Film unterlegt wird. „Die einzigartige Cardioformel enthält alle Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente und hilft so Ihrem Herzen, rund zu laufen.“ Grammikalisch ist der Satz o.k. Trotzdem ist er – man merkt das erst bei genauem Lesen – ziemlich inhaltslos. Denn es bleibt offen, was mit „alle Vitamine...“ überhaupt gemeint sein soll: Heißt „alle“, dass alle Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente die es gibt, berücksichtigt wurden? Das ist definitiv falsch. Oder soll „alle“ heißen, dass in den Pillen alle Vitamine, Mineralien und Spurenelemente enthalten sind, die das Herz braucht? Das wäre eine ziemlich gewagte Aussage, die sich die Pharmafirma – vermutlich aus juristischen Gründen – dann doch lieber verkneift. Also deutet man nur an und überlässt die (falschen) Ergänzungen dem Fernsehzuschauer.
Es gibt 5.000 bis 10.000 (!) verschiedene sekundäre Pflanzenstoffe. Die fehlen in Centrum Cardio
Hinzu kommt: Die Beschränkung auf diese drei Gruppen von Bestandteilen plus den Pflanzensterinen schließt andere wichtige Stoffe aus. In unserer frischen Nahrung, insbesondere in Obst und Gemüse, stecken geschätzte 5.000 bis 10.000 (!) verschiedene sekundäre Pflanzenstoffe. Darunter sind etliche, von denen man weiß, dass sie herzrelevant sind, auch wenn viele Fragen noch offen sind.
Was man aber heute schon mit ziemlicher Sicherheit sagen kann ist, dass die in Centrum Cardio enthaltenen synthetischen Vitamine nicht das Leben verlängern. Wer Pillen schluckt, die das Herz schützen sollen, hofft ja, dass er dann ein paar Monate oder Jahre länger auf diesem Planeten leben darf. Doch dafür gibt es nicht den Hauch eines wissenschaftlichen Belegs. Und auch zu den hinzugefügten Pflanzensterinen, die das Cholesterin senken sollen, gibt es viele und gut begründete Warnungen.
Sind Vitaminpräparate für mehrere tausend Todesfälle pro Jahr verantwortlich?
Schmeißt also, wer solche Pillen kauft, sein Geld aus dem Fenster? Mit Sicherheit. Und Peter Jüni von der Universität Bern (Schweiz) geht sogar noch weiter. Nach Auswertung aktueller Studien ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass allein in Deutschland Vitaminpräparate hochgerechnet „für mehrere tausend Todesfälle pro Jahr“ veranwortlich sein könnten, so das Zitat
aus einem Interview mit der Zeitschrift „Spiegel“. Mit dieser Ausssage liegt der Wissenschaftler ganz auf der Linie anderer Vitaminpillen-Kritiker. Auch über ein Verbot wird deshalb schon nachgedacht.
(erschienen in feminin & fit, 1/2013)