Vitamin-Mangel? Warum natürliches Vitamin C, B6 oder E besser ist als künstliche Präparate / Studien zeigen: Die Nachteile der synthetischen Pillen überwiegen

Sie versprechen Gesundheit und ein langes Leben: Vitaminpillen werden von gut einem Drittel aller Frauen geschluckt, gelutscht oder in Wasser aufgelöst getrunken – meist ohne konkreten medizinischen Anlass. Doch die Hoffnung, mit diesen künstlichen Vitaminen vorbeugend dem eigenen Körper etwas Gutes zu tun, trügt: Immer mehr Wissenschaftler warnen vor dem unkontrollierten Pillenkonsum, denn er kann bei bestimmten Vitaminen das Leben verkürzen, wie schon 2007 in einer umfangreichen Studie festgestellt wurde.

 In der Werbung ist die Welt noch in Ordnung: Da sollen künstliche Vitamine das Immunsystem stärken und mithelfen, Krankheiten zu vermeiden. Am häufigsten traut man das dem Vitamin C zu, der Ascorbinsäure, die auch als Konservierungsmittel eingesetzt wird. Doch schon vor Jahren wurde in einer großen wissenschaftlichen Studie festgestellt, dass es überhaupt keine Beweise dafür gibt, dass künstliches Vitamin C zum Beispiel eine heilende Wirkung bei Erkältungskrankheiten hat. „Auch der Schweregrad und die Dauer von Erkältungen lassen sich nicht durch die Einnahme von Vitamin C beeinflussen“, sagt zum Beispiel Reinhard Saller vom Institut für Naturheilkunde in Zürich. Sicher ist: Schwerer Vitamin C-Mangel führt zu Skorbut – irgendwann wackeln die Zähne und fallen raus. Das Krankheitsbild ist hierzulande aber so gut wie unbekannt.

Vitamin C: Auch als Anti-Krebsmittel hat sich die Ascorbinsäure nicht bewährt

Auch als Anti-Krebsmittel, zusammen mit Vitamin E, konnte sich die Ascorbinsäure bisher nicht bewähren. Trotz groß angelegter Studien konnte „keine krebsschützende Wirkung nachgewiesen werden“, so Reinhard Saller.

Geradezu fahrlässig ist die unkontrollierte Einnahme von Vitamin C als Pulver, Pille oder Brausetablette in hohen Dosierungen. Der menschliche Körper braucht pro Tag je nach Belastung und gesundheitlichem Zustand zwischen 30 und 100 mg Vitamin C. Er ist seit hundertausenden von Jahren gewohnt, es aus natürlichen Quellen wie Obst oder Gemüse heraus zu filtern. Vitamin C wird hier nicht als chemisch isolierter Stoff in Form von Ascorbinsäure vom Körper aufgenommen, sondern immer mit einer Vielzahl von anderen Vitaminen, Mineralien und sekundären Pflanzenstoffen.

Vitamin C-Konsum: Seltener Gedächtnisstörungen und Demenz?

Wenn trotzdem immer wieder von positiven Wirkungen der Ascorbinsäure zu hören ist, dann hat das einen ganz anderen Grund: Das Vitamin wird in diesen Fällen häufig für kurze Zeit als Medizin zur Behandlung ganz bestimmer Krankheiten eingesetzt, was durchaus seine Berechtigung haben kann: So zeigte sich in einer Studie zum Beispiel ein blutdrucksenkender Effekt: 60 gesunde Patienten hatten täglich 3000 mg (drei Gramm!) eingenommen, eine Menge, die zum Dauergebrauch nicht zu empfehlen ist.  

In andere Studien wird nach den Ernährungsgewohnheiten gefragt. Da zeigt sich zum Beispiel, dass ein hoher Vitamin C-Konsum seltener mit Gedächtnisstörungen und Demenz einhergeht. In solchen Fällen dürfte das Vitamin C überwiegend aus Obst und Gemüse stammen. Ein Argument für die Einnahme der synthetischen Variante ist es jedenfalls nicht.

Wenn künstliches Vitamin C hoch dosiert (500 mg pro Tag und mehr) als Nahrungsergänzungsmittel genommen wird, kann der Organismus völlig ungewohnt reagieren. Zum einen scheidet er das nicht verstoffwechselte Vitamin C über den Urin wieder aus, da im Schnitt nur bis zu 100 mg pro Tag vom Körper aufgenommen werden können.

Gravierender ist folgender Mechanismus: Während normalerweise das Vitamin C antioxidativ wirkt und damit eigentlich die Gesundheit fördert, können große Mengen hingegen Oxidationsvorgänge auslösen und damit Körperzellen schädigen.

Natürliches Vitamin C: Nur so nehmen wir den gesamten Vitamin C-Komplex zu uns

Als ein Grund für die schädlichen Folgen von künstlichem Vitamin C wird diskutiert, dass die natürliche Variante wesentlich mehr ist als die in Chemiefabriken (mittlerweile fast ausschließlich in China) hergestellte Ascorbinsäure. In der Natur kommen mindestens zwei Formen von Vitamin C vor, neben der Ascorbinsäure auch noch die sogenannte L-Dehydroascorbinsäure. Wie auch bei anderen Vitaminen üblich (mehr dazu später), werden viele dieser Schwestervitamine häufig ignoriert mit der Begründung, dass sie für den menschlichen Organismus nicht so relevant seien. Doch immer wenn wir ein von Natur aus Vitamin C haltiges Nahrungsmittel essen, nehmen wir den gesamten Vitamin C-Komplex zu uns. Ascorbinsäure in chemisch reiner Form ist unserem Körper fremd. für

Eine Forschergruppe um den Ernährungswissenschaftler Michael Ristow vom Deutschen Ernährungsinstitut in Potsdam hat jüngst eine andere Entdeckung gemacht: Dort wurde herausgefunden, dass die Vitamine C und E, als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen, die nützlichen Folgen von sportlicher Betätigung wieder aufheben können. Zu diesen Folgen zählt zum Beispiel die Verhinderung von Typ-II-Diabetes. Doch die künstlichen Vitamine, die gerade von Freizeitsportlern oft großzügig eingenommen werden, blockieren die Abläufe auf zellulärer Ebene. Für Vitamine aus Obst und Gemüse, so Michael Ristow, gelte dieser Zusammenhang nicht, da sie zusammen mit anderen Biofaktoren gegessen werden.

Grüner Salat, Kreuzblütler-Gemüse: Seltener Schlaganfall

Spätestens seit der großen Nurses Health Study aus den USA, die mit über 84.000 Teilnehmerinnen zu den aussagekräftigsten Studien zählt, weiß man, wie sinnvoll ein hoher Obst- und Gemüsekonsum ist. Das Ergebnis: Wer viel grünen Salat, Kreuzblütler-Gemüse (z. B. Kohl, Brokkoli, Rettich, Radieschen oder Kresse) sowie Vitamin C reiches Obst und Gemüse isst, bekommt seltener einen Schlaganfall und andere Herz-Kreislauf-Krankheiten. Doch wer zusätzlich auch noch Multivitamintabletten einnimmt, hat davon keinen zusätzlichen Nutzen. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit, Herzprobleme zu bekommen, steigt wieder an – wenn auch nur gering.

Vitamin B6 in Tablettenform hat nichts mit dem natürlichen Vitamin B6 zu tun

Ziemlich vereinfacht werden auch die Vorgänge beim Vitamin B 6, das sehr häufig Bestandteil von Multivitamin-Präparaten ist. Doch auch hier gilt: Das künstlich hergestellte Vitamin B6 in Tablettenform hat nichts mit dem natürlichen Vitamin B6 zu tun, das in Nahrungsmitteln enthalten ist.

Denn dort kommt es in drei unterschiedlichen Arten vor: als Pyridoxin, Pyridoxal und Pyridoxamin. Sie sind zum Beispiel im Rindfleisch in folgenden Prozentsätzen enthalten: Pyridoxin 16 %, Pyridoxal 53 % und Pyridoxamin 31 %. Bei Bananen sieht es wie folgt aus: Pyridoxin 61 %, Pyridoxal 10 % und Pyridoxamin 29 %. Hinzu kommen noch verschiedene Abkömmlinge, die für ganz spezielle Aufgaben im Organismus vorgesehen sind. Viele Fragen sind hier noch offen. Somit: Das natürliche Vitamin B6 ist ein ziemliches komplexes Vitamin.

Vitamin B6 in einer chemischen Form, die in der Natur gar nicht existiert

Doch in den meisten Vitaminpräparaten ist B6 überhaupt nicht in seiner ganzen natürlich vorkommenden Bandbreite enthalten. In der Regel kommt es als Pyridoxin Hydrochlorid in die Tabletten und damit in einer chemischen Form, die in der Natur gar nicht existiert. Zwar belegen viele Studien, dass sich damit etliche Krankheiten gut behandeln lassen. Die Chemikalie ist trotzdem nur ein schwacher Ersatz für natürlich vorkommendes B6. Und es bleibt die Frage: Warum soll man Pyridoxin Hydrochlorid überhaupt einnehmen, wenn man gar nicht krank ist?

16 verschiedene Varianten von Vitamin E

Auch das Vitamin E ist in den meisten Vitamintabletten nur in einer „abgespeckten“ Version enthalten. In der Natur kommt es in 16 verschiedenen Varianten vor. Doch zum wichtigsten E-Vitamin wurde aufgrund seiner hohen Bioverfügbarkeit nur das Alpha-Tocopherol erkoren (im Kleingedruckten oft als  „α-Toc“ oder  „α-TE“ abgekürzt), das synthetisch in großen Mengen hergestellt wird.

Wissenschaftler interessieren sich schon seit Jahren für die Frage, welche Krankheiten sich mit α-Toc verhindern lassen. Die Ergebnisse sind eher ernüchternd: „Der breite Einsatz von Vitamin E als  ‘Altersprävention’ ist nicht zu rechtfertigen“, sagt Reinhard Saller vom Institut für Naturheilkunde. Der Grund: Viele Studien konnten eine medizinische Wirksamkeit von Alpha-Tocopherol nicht belegen. Ganz im Gegenteil: Bei einer 7000 Patienten umfassenden Studie wurde unter den Teilnehmern, die Vitamin E in konzentrierter Form einnahmen, deutlich häufiger Herzversagen festgestellt.

Synthetisches Vitamin E: Zustand der Gefäße nach drei Jahren verschlechtert

In einer anderen Studie mit fast 40.000 gesunden Frauen, die im Durchschnitt zehn Jahre lang jeden zweiten Tag Vitamin E-Pillen (Menge: 600 IE) einnahmen, konnte ebenfalls keine schützende Wirkung auf Herz und Kreislauf festgestellt werden. In anderen Untersuchungen hieß das Ergebnis ebenfalls: Vitamin E-Pillen haben keinen Nutzen. Im Gegenteil: Bei einer anderen mehrjährigen Studie mit Frauen, die an einer Verengung der Herzkranzgefäße litten, hatte sich der Zustand der Gefäße nach drei Jahren eher verschlechtert.

Wenig schmeichelhaft ist auch das Ergebnis einer großen Studie (Metastudie mit über 232.000 Teilnehmern) der renommierten Cochrane Forschungsvereinigung. Es ging um die Frage, ob künstliche Vitamine Krankheiten vorbeugen können. Im Mittelpunkt standen die wichtigsten als Antioxidantien gerne geschluckten Vitamine.

Synthetische Vitamine: Sterberisiko steigt um fünf Prozent

Das Ergebnis: Behandlungen mit industriell erzeugtem Beta Carotin, Vitamin A und Vitamin E – egal ob als Einzel- oder Kombipräparat eingenommen – erhöhen das Sterberisiko um fünf Prozent und zwar unabhängig von der Dauer der Einnahme. Die Zahl mag gering erscheinen, doch für Nahrungsstoffe, die das Leben eigentlich verlängern sollen, ist es dann doch die falsche Richtung. Wobei die Wissenschaftler die Zahl von fünf Prozent eher noch für untertrieben halten. Sie gehen nämlich davon aus, dass viele Studien mit neutralen oder negativen Ergebnissen erst gar nicht veröffentlicht wurden, eine Praxis, die in der Wissenschaft immer häufiger um sich greift.

Natürliche Vitamine gehen langsamer ins Blut über

Doch woran liegt es nun, dass sich künstliche Vitamine zur allgemeinen Gesundheitsvorbeugung so wenig eignen? Catherine Mulholland und Diane Benford von der englischen Ernährungsagentur sehen das so: Vitamine in natürlichen Nahrungsmitteln werden zusammen mit anderen Bestandteilen gegessen, sie gehen langsam ins Blut über und die Aufnahme findet bei mehreren Mahlzeiten verteilt über den Tag statt. Vitaminpräparate hingegen sind chemisch nicht nur sehr einseitig ausgewählt, sie gehen auch plötzlich und in ungewohnt großer Menge ins Blut. Das kann, sagen die beiden Ernährungswissenschaftlerinnen, den Organismus durcheinander bringen und zu „unerwarteten und potentiell gefährlichen Wirkungen führen.“ Andere Experten verweisen noch darauf, dass man bis heute nur wenig darüber weiß, wie synthetische Vitamine mit anderen Nährstoffen inter­agieren, zum Beispiel mit den natürlichen Vitaminen aus der Nahrung.

Gefahren drohen noch von einer ganz anderen Seite. Schon vor zirka acht Jahren machte das heutige Bundesinstitut für Risikobewertung auf die „ungeregelte Anreicherung“ von Lebensmitteln mit Mikronährstoffen aufmerksam (z. B. Vitamine), die zu einer Überdosierung führen können. Insbesondere der „gesundheitsbewusste Verbraucher“ sei gefährdet, „der morgens mit der Multivitamintablette und dem angereicherten Müsli beginnt, als Zwischenmahlzeit ein entsprechendes Milcherzeugnis verzehrt und am Nachmittag angereicherte Erfri­schungsgetränke und ‘leistungssteigernde’ Snacks in Form von Riegeln und ähnlichem zu sich nimmt.“

Vitaminversorgung lässt zu wünschen übrig

Doch wie sieht es denn nun aus? Brauchen wir den Extra-Input an Vitaminen? Ein Blick in die aktuelle nationale Verzehrsstudie hilft da weiter. Hier ist akribisch ermittelt worden, was wir so alles essen und zu uns nehmen – und dazu gehören auch die Vitamine aus Obst, Gemüse, Fleisch und anderen Nahrungsmitteln. Das Ergebnis kurz zusammengefasst lautet: Trotz eines überquellenden Angebots lässt die Vitaminversorgung eher zu wünschen übrig.

Während beim Vitamin A nur 10% der Frauen und 15% der Männer die empfohlenen Richtwerte nicht erreichen, ist die Versorgung von Vitamin D gerade zu desaströs: Insgesamt 82% der Männer und 91% der Frauen kommen nicht auf die empfohlene tägliche Menge.

Im höheren Alter (jenseits der 65) ist die Versorgung noch schlechter. Beim Vitamin E sieht es etwas besser aus: Rund 50% kommen auf den Richtwert. Beim Vitamin B1 ist die Versorgung im Durchschnitt ausreichend. Schaut man sich einzelne Untergruppen an, sieht es schon wieder anders aus: So kommen 40% der Frauen jenseits der 65 nicht auf die empfohlene Menge. Und wie sieht es mit der Folsäurezufuhr aus natürlichen Quellen aus? Sie sieht für alle Altersgruppen sehr schlecht aus. Bei den jüngeren Frauen kommen nur 22% auf ausreichende Werte; bei den Frauen jenseits der 65 sind nur 9%. Und auch von einer Vitamin C-Überversorgung kann man nicht sprechen: 32% der Männer und 29% der Frauen erreichen die empfohlene tägliche Zufuhr nicht.

Auch ohne diese Zahlen zu kennen, ahnen viele ganz richtig, dass es mit dem Alibi-Apfel am Morgen und den zwei Salatblättern im Kantinen-Hamburger nicht getan ist. Da werden Vitaminpillen und Multivitaminpräparate gefragte Helfer gegen das schlechte Gewissen.

Rund ein Drittel aller Frauen nimmt regelmäßig Vitaminpräparate ein, entweder als Einzelmittel oder in den unterschiedlichsten Kombinationen bis hin zu Multivitamintabletten. Wer sie schluckt – auch das hat die Verzehrsstudie ergeben – der konsumiert sie in vielen Fällen überdosiert. So kommen beim Vitamin E Frauen im Alter von 65 bis 80 Jahren allein durch die Vitamin-Ergänzung im Schnitt auf 136% der empfohlenen Tageszufuhr. Das Vitamin E aus natürlichen Quellen kommt dann noch dazu.

Viel zu viel Vitamin B6

In Überdosis konsumiert werden auch etliche Fabrikvitamine aus der B-Gruppe. Frauen ab 25, die B1-Vitamine einnehmen (meistens ‘versteckt’ in Multivitamin-Präparaten), kommen allein dadurch auf mehr als 135% der empfohlenen Tageszufuhr. Großzügig wird auch das Vitamin B2 eingenommen: Mit Ausnahme der 14 bis 18jährigen erreichen Frauen mehr als 130% des Vitamins nur auf diesem Weg. Ähnlich auch bei Niacin (B3): Frauen ab 35 kommen allein durch Vitamintabletten auf fast 140% der empfohlenen Tageszufuhr. Am deutlichsten werden die Grenzwerte beim Vitamin B6 überschritten: Frauen ab 19 Jahren erreichen durch die Nahrungsergänzung fast 170% der empfohlenen Werte. Bei der Folsäure wird das Defizit zu rund 85% durch künstlichen Ersatz gedeckt.

 Fazit: Wer Vitaminpillen schluckt, will gesünder leben oder Ernährungsdefizite ausgleichen. Doch vor dem Hintergrund der erwähnten kritischen Berichte über die gesundheitlichen Folgen der künstlichen Vitamine dürfte das wohl ein ziemliches Glücksspiel mit der eigenen Gesundheit sein. So wie es aussieht, kommt man um natürliche Vitaminquellen nicht herum.

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