Die Folgen von Viagra & Co: Sexdruck, kürzeres Vorspiel und Schmerzen durch Dauersex Von vielen Männern unterschätzt: Frauen wünschen sich oft mehr Nähe und Zärtlichkeit

Seit rund einem viertel Jahrhundert gibt es Potenzpillen. Den Anfang machte die Firma Pfizer mit Viagra, andere Firmen folgten mit ähnlichen Präparaten. Die Pillen machen vieles einfacher – aber manchmal auch komplizierter, insbesondere für Frauen.

 Denn verkauft wird nicht nur ein Medikament, das Erektionsstörungen beheben kann. Verkauft wird ein Mythos.  Nämlich der, dass die rund 12 bis 15 Euro teuren Pillen pro Stück in jedem Fall ein Segen für die Partnerschaft sind.

Rund eine Million Männer schlucken regelmäßig Potenzpillen

Der Markt für Viagra & Co. ist riesig. Zwischen acht und 25 Prozent aller Männer haben zeitweise oder dauerhaft Potenzprobleme (Neudeutsch: erektile Dysfunktion). Dass die Schätzungen so weit auseinanderstreben liegt daran, dass in vielen Fällen niemand definitiv sagen kann, ob das schwächelnde männliche Stehvermögen nun altersbedingt ist oder Folge einer anderen Krankheit (z. B. Diabetes). Hinzu kommt: Was der eine Mann für ein behandlungsbedürftiges Problem hält, ist für den anderen ein akzeptiertes, altersbedingtes Schicksal. Und eben kein Problem, das ihn in eine Arztpraxis treibt, um sich dort ein Potenzmittel verschreiben zu lassen.

Anzeige

Rund eine Million Männer hierzulande sollen mehr oder weniger regelmäßig Potenzmittel schlucken. Darunter sind auch etliche die glauben, damit etwas Gutes für die Partnerschaft zu tun. Doch Sexualwissenschaftler insbesondere in den USA sind in den letzten Jahren zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen: Viele Frauen – wenn auch sicherlich nicht alle – sind durch Potenzmittel unter Sexdruck geraten. Und dann kann am Ende nicht eine glücklichere Ehe stehen sondern der Gang zum Scheidungsanwalt.

Warum Potenzpillen nicht immer ein Segen sind

Annie Potts von der Universität von Canterbury in Neuseeland geht schon seit Jahren der Frage nach, welche Auswirkungen die Potenzpillen auf Ehen haben. Ihr Fazit ist eher ernüchternd. Sie stößt in ihren langen Gesprächen mit Frauen fast immer auf die Schattenseiten von Potenzmitteln, die in der Öffentlichkeit so gut wie gar kein Thema sind.

Oft genug ist die Pille einfach da, sozusagen als kleine Überraschung. Viele Männer beteiligen ihre Partnerinnen gar nicht an der Entscheidung, sich ein Potenzmittel verschreiben zu lassen. Oder die Aufgabe der Frau besteht nur darin – so wünscht es sich die Werbung – den Mann dazu zu bringen, eine Arztpraxis aufzusuchen. In beiden Fällen wird unausgesprochen davon ausgegangen, dass Potenzpillen immer ein Segen sind.

Das entscheidende ist für die Sexualwissenschaftlerin Annie Potts aber die Änderung des sexuellen Verhaltens. Denn fast immer ändern sich Häufigkeit, Dauer und Art des sexuellen Verhaltens. Mit Potenzmitteln sind Mehrfacherektionen über einen Zeitraum von bis zu 24 Stunden möglich. Doch auch wenn es viele Männer glauben – Frauen träumen nicht unbedingt davon. Sie „wünschen sich einfach nur mehr Nähe, mehr Zärtlichkeit, aber sie wünschen sich nicht notwendigerweise 24 Stunden Dauersex“, sagt Potts. Viele Paare seien auf diese technischen Möglichkeiten gar nicht vorbereitet. Statistiken besagen, dass Männer in festen Partnerschaften die zu Potenzmitteln greifen, zuvor zwischen zwei bis fünf Jahren mit Erektionsproblemen zu tun hatten. Entsprechend selten war auch der Geschlechtsverkehr.

Einsatz von Potenzmitteln: Oft kommt auch das sexuelle Vorspiel zu kurz

Wenn sich die Pilleneinnahme dann noch mit der Einstellung paart, dass die Stehkraft nun auch „ausgenutzt“ werden müsse – was sich leicht mit den hohen Stückkosten rechtfertigen lässt – fühlen sich etliche Frauen unter Druck gesetzt. In vielen Gesprächen, die Annie Potts führte, war häufig von Schmerzen durch Dauersex die Rede – und das trotz des Gebrauchs von Gleitcremes.

Der Einsatz von Potenzmitteln, so eine andere Erfahrung, lässt auch das sexuelle Vorspiel oft zu kurz kommen. Was Potenzmittelhersteller überhaupt nicht passen dürfte: In einer vor einigen Jahren durchgeführten Untersuchung kam heraus, dass die Mehrheit der Frauen in Partnerschaften mit von Potenzproblemen geplagten Männern sich eher andere sexuelle Aktivitäten wünschen.

Der klassische Beischlaf rangierte auf den hinteren Plätzen.Wenn Männer Potenzpillen schlucken, kann der Druck auf Frauen nach Ansicht von Annie Potts auch aus anderen Gründen zunehmen: Frauen wollen, gerade wenn sie ihre Partner lieben, nichts gegen die künstlich hochgefahrene Lust etwas sagen. „Ich glaube, mein Mann braucht diese Bestätigung. Er will mir zeigen, dass er noch ein ganzer Kerl ist. Ich würde niemals seine Gefühle verletzen wollen“, zitiert die Wissenschaftlerin eine 57 Jahre alte Frau. „Solange er glücklich ist, ist doch alles in Ordnung“, sagt sie. → Weiter zu Teil 2

Anzeige