Gesunde Nahrungsmittel: Michael Pollans Grundregeln des guten Essens / Von Lebensmitteln und nahrungsmittelähnlichen Substanzen

Essen ist kompliziert geworden. Tausende von Produkten in den Regalen wollen gekauft und verzehrt werden. Da ist es schon verständlich, dass sich viele Verbraucher – gerade die, die sich gesund ernähren wollen – häufig schwertun beim Einkauf. Doch das Problem lässt sich lösen – mit einfachen Merksätzen, die der Ernährungsexperte Michael Pollan aufgeschrieben hat.

 Diesem Satz wird jeder zustimmen: Essen muss schmecken und darf uns nicht krank machen. Doch die Wirklichkeit sieht leider anders aus: Längst nicht alles, was uns zum Kauf angeboten wird, ist wirklich gutes Essen. Michael Pollan nennt diese Produkte in seinem neuen Buch* „essbare, nahrungsmittelähnliche Substanzen“. Auf der anderen Seite stehen die Lebens-Mittel im ursprünglichen Sinne.

Was unsere Großmutter auf Anhieb als Essen erkannt hätte

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Die nahrungsmittelähnlichen Substanzen zeichnen sich insbesondere durch folgende Kriterien aus: Sie sind stark verarbeitet und häufig auch lange haltbar, eben Industrienahrungsmittel. Dazu gehören Fertiggerichte und Fertigsoßen, Tiefkühlpizzas, Tütensuppen, Frühstücksflocken, viele Süßigkeiten, Lightprodukte etc. – eben all jene Produkte, die unsere Groß- oder Urgroßmütter (Geburtsjahr um 1900 herum) nicht auf Anhieb als Essen erkannt hätten, um mit der wichtigsten Pollanschen Regel zu beginnen.

Ernährungswissenschaftler (jedenfalls die im Dienste der Ernährungsindustrie) bezeichnen das, was unsere Vorfahren nicht kannten und heute in den Regalen steht, als Produkt­innovationen. Das klingt positiv. Doch kommt unser Organismus mit diesen neuen Produkten überhaupt zurecht?

Der Konsum dieser nahrungsmittelähnlichen Substanzen macht krank

Michael Pollan – und mit ihm immer mehr Ernährungsexperten (meist außerhalb der Industrie und industrienaher Institutionen aller Art) haben da ganz starke Zweifel. Sie sagen vielmehr: Der tägliche Konsum dieser nahrungsmittelähnlichen Substanzen macht krank. Michael Pollan: „Praktisch alle Fettleibigkeits- und Typ-2-Diabetes-Fälle, 80 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und über ein Drittel aller Krebsleiden können mit dieser Ernährungsform in Zusammenhang gebracht werden. Vier von zehn Top-Ten-Todesursachen in den USA sind chronische Krankheiten, die mit dieser Ernährung in Verbindung stehen.“

Aber wir können aussteigen, so seine Botschaft, unser Körper spüre die Vorteile schon nach wenigen Tagen. „Der Gesundheitszustand von Menschen, die der westlichen Ernährung den Rücken kehren, verbessert sich dramatisch.“

So tun Sie Ihrem Organismus etwas Gutes

Auch wer wenig ändert und  zum Beispiel nur dem Spruch folgt: „Meiden Sie Nahrungsprodukte, die mehr als fünf Zutaten enthalten“ – tut seinem Organismus schon etwas Gutes.

Oberstes Ziel müsse es sein, so Michael Pollan, „stark verarbeitete Nahrungsmittel erst gar nicht auf den Tisch zu bringen. Die Regeln stellen Ihnen Filter zur Verfügung, die Ihnen helfen, echte, ursprüngliche Lebens-Mittel von den essbaren, nahrungsähnlichen Substanzen zu unterscheiden.“

Regel 1: Meiden Sie Nahrungsmittel, die Zutaten enthalten, die kein normaler Mensch im Küchenschrank hat

Verdicken Sie Ihre selbst zubereiteten Soßen mit Xanthan? Oder backen Sie Ihren Kuchen mit Eigelbpulver? Vermutlich nicht. Und das ist auch gut so. Doch wer nicht aufpasst, dem können solche und andere zweifelhaften Zutaten aus den Laboren der Lebensmittelchemiker schnell auf den Teller kommen. Xanthan z. B. ist ein Verdickungsmittel, das mit Hilfe von mittlerweile auch gentechnisch veränderten Bakterien aus zuckerhaltigen Substraten gewonnen wird. Und ohne Eigelbpulver geht in weiten Teilen der Backindustrie (und nicht nur dort) so gut wie gar nichts mehr. Auch wenn es sich so harmlos anhört – mit dem natürlichen Eigelb hat das Pulver nicht mehr viel zu tun. Es ist durch eine Vielzahl von Verarbeitungsschritten zu einer fragwürdigen Substanz geworden, die zum Beispiel sogenannte COPS (oxidierte Cholesterine) enthält. Ein Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen wie Artheriosklerose gilt mittlerweile als bestätigt.

Regel 2: Meiden Sie Nahrungsprodukte, die mehr als fünf Zutaten enthalten

Ganz so streng muss man die Zahl natürlich nicht nehmen, das sagt auch Michael Pollan. Aber als Richtschnur ist sie sinnvoll. Rechts finden Sie als Beispiel die Zutatenliste einer Sauce für Fischgerichte. 18 Inhaltsstoffe werden deklariert. Da sollte man dann doch lieber zum Kochbuch greifen oder sich ganz einfach mit zerlassener Butter „begnügen“.

Regel 3: Meiden Sie Nahrungsprodukte, die behaupten, gesund zu sein.

Esst Obst und Ihr bleibt gesund! Vor Jahren konnte man diesen Slogan auf den Verpackungsmaterialien der Obst- und Gemüsehändler noch lesen. Heute ist er in der Werbung verboten. Denn Juristen haben den messerscharfen Schluss gezogen, dass dieser Satz deshalb nicht stimmen könne, weil auch Obstesser mal beim Arzt gesichtet wurden. Doch wenn in Nahrungsmittel wie Milch, Joghurt oder Margarine arzneiähnliche Substanzen wie z. B. Cholesterinsenker (Phytosterine) gerührt werden, dann dürfen solche Produkte als der Gesundheit dienlich hingestellt und verkauft werden. Ernährungsforscher und Mediziner schlagen Alarm, weil die Zusätze vermutlich eher schaden als nutzen, was mit Studien belegt werden kann. Doch erhört wurden die Wissenschaftler bisher nicht.

Regel 4: Meiden Sie Nahrungsmittel, bei denen irgendeine Form von Zucker (oder Süßstoff) als eine der drei wichtigsten Zutaten genannt wird

Zucker war einst ein ziemlich rares Produkt. Konzentrierte Süße kam überwiegend in Form von Honig auf den Tisch – wenn überhaupt. Erst um 1850 herum begann mit der Mechanisierung des Zucker­rüben­anbaus die großindustrielle Zuckerproduktion. Heute ist Kristallzucker aus Rüben nur ein Süßungsmittel unter vielen und steckt in großen Mengen auch dort, wo man ihn gar nicht vermutet: z. B. in Ketchup und Remoulade. Rund 40 Arten von Zucker werden verwendet. Darunter sind Gerstenmalz, Reissirup, Zuckerrohrsaft, Dextrin, Dextrose, Fruchtsaftkonzentrat, Invertzucker etc. Insbesondere ein Süßungsmittel ist seit einigen Jahren groß im Kommen: Glukose-Fruktose-Sirup, mit dem z. B. immer mehr Limonaden gesüßt werden. Das schlimme ist: Zuviel davon schlägt nicht nur aufs Kalorienkonto, sondern macht auch krank. Der Sirup, der aus Mais- oder Kartoffelstärke hergestellt werden kann, gilt zum Beispiel als eigenständige Ursache für schlechte Blutfettwerte.

Regel 5: Essen Sie Lebensmittel aus Zutaten, die Sie sich auch unverarbeitet vorstellen können oder die in der Natur wachsen

Regel 6: Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte

Regel 7: Essen Sie Tiere, die selbst gut haben

In der konventionellen Tierzucht läuft einiges schief. Eines der größten Hauptübel ist: Den Tieren wird Futter vorgesetzt, das sie freiwillig gar nicht essen würden. Sie werden mit Getreide gefüttert, „das eine hohe Energiedichte hat, damit die Tiere schneller wachsen – auch die Wiederkäuer, die evolutionär darauf angelegt sind, Gras zu fressen“, sagt Michael Pollan. Die Tiere seien einfach gesünder, wenn sie Zugang zu Grünpflanzen hätten.

Unbestritten ist: Das Fleisch z. B. artgerecht gehaltener Rinder enthält wesentlich gesündere Fette (mehr Omega-3-, weniger Omega-6-Fettsäuren) und deutlich mehr Vitamine und Antioxidantien.

Das gleiche gilt auch für Pflanzen: Wenn sie gute Wachstumsbedingungen hatten und von gesunden Böden stammen, sind sie ein besserer Beitrag zu unserer Ernährung.

Regel 8: Was in allen Sprachen denselben Namen hat, ist kein Lebensmittel.

Pringles (stapelbare Kartoffelchips auf der Basis von Kartoffelpüreepulver), Bic Mac, Coca-Cola etc.  – für den Ernährungsexperten Michael Pollan sind solche Produkte, die es identisch in vielen Ländern zu kaufen gibt, nur „essbare, nahrungsmittelähnliche Substanzen“ und keine Lebensmittel.

Regel 9: Meiden Sie Nahrungsmittel, die sich als »light«, »fettarm« oder »fettfrei« ankündigen.

Die vierzigjährige Kampagne, fettarme und fettfreie Versionen traditioneller Lebensmittel zu entwickeln, ist gescheitert“, sagt Michael Pollan. „Wir sind mit fettarmen Produkten fett geworden. Warum? Weil Lebensmittel nicht zwangsläufig schlank machen, wenn das Fett aus ihnen entfernt wird.“

Die Fakten: Seit dem Beginn der Fettarm-Kampagne Ende der 1970er-Jahre konsumieren zum Beispiel US-Amerikaner über 500 Kalorien pro Tag mehr, die meisten davon in Form reiner Kohlenhydrate wie etwa Zucker.

Auch in Europa hat die Verteufelung des Fetts zu keinen positiven Ergebnissen geführt. Das Durchschnittsgewicht ist weiter angestiegen. Doch das hält führende deutsche Ernährungswissenschaftler nicht davon ab, sich genau mit diesem Thema zu beschäftigen: Sie entwickeln zur Zeit im Rahmen eines großen Forschungsprojekts fettreduzierte Lebensmittel. Projektname: „Fettwahrnehmung und Sättigungsregulation: Ansatz zur Entwicklung fettreduzierter Lebensmittel“.

Regel 10: Essen Sie soviel Junkfood, wie Sie wollen – solange Sie es selbst zubereiten

Junkfood bezeichnet im Englischen all die Nahrungsmittel, die uns – regelmäßig und häufig gegessen – dick und krank machen. Doch wenn wir all die Torten, Kuchen, Pizzen, Pommes, Eiscremes etc. selbst herstellen, essen wir sie zwangsläufig seltener. Beispiel Pommes frites: Die Kartoffeln müssen gewaschen, geschält, klein geschnitten und dann noch frittiert werden. Nicht zu vergessen: das Aufräumen und Reinigen . . . Das macht man einmal im Monat, allerhöchstens. Und noch einen Vorteil hat der Zwang zum Selbermachen: Uns bleiben die diversen chemischen Zutaten erspart, die z. B. die Haltbarkeit verlängern, das Aussehen „verbessern“ oder die Maschinengängigkeit bei der Herstellung ermöglichen.

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